Gruppen-Experten-Rallye (Jigsaw-Methode)
Experimentieren und Erfahren
Soziales Lernen
Lernende in Lehrende verwandeln und ein Thema schrittweise als Gesamtbild erarbeiten.
Kurzbeschreibung Gruppen-Experten-Rallye (Jigsaw-Methode)
Die Gruppen-Experten-Rallye ist eine Methode, bei der Lernende gleichzeitig auch als Lehrende agieren. Die Methode wird auch Gruppenpuzzle genannt. Sie ist eine kooperative Lernmethode, bei der Lernende in Kleingruppen unterteilt werden, um gemeinsam ein umfassendes Thema zu bearbeiten. Jede Person in der Gruppe übernimmt dabei die Verantwortung für einen Teil des Themas und wird zum „Experten“ für diesen Bereich. Anschließend bringen die Lernenden ihr erworbenes Wissen zurück in die Stammgruppen und lehren ihre Teammitglieder. Diese Methode fördert nicht nur die Selbstverantwortung und das individuelle Lernen, sondern auch den sozialen Austausch und die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln. Alle erarbeiten sich so ein gemeinsames Wissen, zu dem jede/r einen Beitrag leistet, so dass eine positive Kooperation entsteht, wobei alle Beiträge wichtig sind. Wesentlich an der Methode ist es, dass alle Lernenden aktiv zu Lehrenden werden. Ein Test kann als Kontrolle das Verfahren abschließen und die Wirksamkeit überprüfen.
Die Methode wurde entwickelt, um den kooperativen Austausch in Gruppen zu fördern. Der Name „Jigsaw“ (englisch für Puzzle) leitet sich davon ab, dass jedes Mitglied einer Gruppe einen Teil des Lernmaterials „puzzelt“ – also einen spezifischen Bereich erarbeitet – und später in der Gruppe das „Gesamtbild“ zusammengesetzt wird. Ziel ist es, dass die Lernenden voneinander lernen und sich gegenseitig ihr Wissen vermitteln. Jeder Teil des Wissens ist wichtig, um das Gesamtbild zu vervollständigen, und die Methode fördert gleichzeitig das aktive Zuhören, den Austausch und die Zusammenarbeit.
Methodensteckbrief
Zeitansatz
Der Zeitansatz hängt von der Komplexität des Themas ab:
Kurze Rallye (1-2 Stunden):
Eignet sich für kleinere Themen, bei denen die Lernenden eine überschaubare Menge an Informationen bearbeiten und in kurzer Zeit vorstellen können.
Mittlere Rallye (halber Tag):
Für komplexere Themen, bei denen die Lernenden tiefer in die Materie eintauchen und mehr Zeit für die Bearbeitung und Präsentation benötigen.
Lange Rallye (ein Tag +):
Diese eignen sich für umfangreiche Projekte, bei denen die Gruppen längerfristig an einem Thema arbeiten und am Ende ausführliche Präsentationen oder Berichte erstellen.
Gruppengröße
Es sind alle beteiligt, da es um Partizipation geht:
Stammgruppen:
Idealerweise so viele Personen wie es Themen gibt. Vier Themen sind eine günstige Größe pro Stammgruppe. Diese Gruppengröße ermöglicht einen intensiven Austausch und sorgt dafür, dass die Lernenden eine aktive Rolle spielen.
Expertengruppen:
Die Gruppengröße kann variieren, je nachdem, wie viele Lernende dasselbe Teilthema bearbeiten. In der Regel bestehen Expertengruppen aus so vielen Personen, wie später in den Stammgruppen zu Lehrenden werden.
Beispiel:
16 Teilnehmende insgesamt werden in vier Stammgruppen (4×4) aufgeteilt. Von den 4 Personen einer Stammgruppe geht jeweils mindestens eine Person in die Expertengruppe, sodass es vier Expertengruppen gibt, die Themen erarbeiten. Danach geht es zurück in die Stammgruppe, wobei jeweils ein Experte das Thema dann in der Stammgruppe unterrichtet. Geht die Anzahl nicht auf, dann werden Expertenrollen doppelt besetzt.
Analog und/oder Digital
Analog und digital möglich:
Analoge Anwendungen:
Im Klassenzimmer oder Seminarraum erfolgt die Gruppeneinteilung und der Austausch persönlich. Die Lernenden arbeiten mit Texten, Präsentationen, Plakaten oder anderen analogen Materialien. Die Wissensvermittlung kann über mündliche Präsentationen oder Diskussionen geschehen.
Digitale Anwendungen:
In der digitalen Welt kann die Methode ebenfalls funktionieren. Gruppenarbeiten können über Videokonferenz-Tools durchgeführt werden, während Dokumente und Materialien in Kollaborationstools wie „Onedrive“, „TaskCards“, „Padlet“ oder „Miro“ geteilt und bearbeitet werden. Breakout-Räume für Expertengruppen können in Videokonferenzplattformen genutzt werden.
Vorbereitung
Die Methode eignet sich gut zur Einführung neuer Inhalte, wobei Grund- und Basiskenntnisse vermittelt werden können.
Schwierigkeitsgrad:
Die Inhalte sollten selbstständig erarbeitet werden können, wobei die Hilfe des/der Kursleiters/Kursleiterin nicht erforderlich sein sollte, diese/r fungiert hier lediglich als Ansprechpartner im Hintergrund.
Lernstoff:
- Der Lernstoff sollte in unabhängig voneinander zu bearbeitende Sachverhalte bzw. Teilbereiche untergliedert werden können, um eine sinnvolle Aufteilung der Inhalte und ein autonomes Erarbeiten zu ermöglichen.
- Teilbereiche, die von den Lernenden nicht aktiv bearbeitet werden, müssen nach Abschluss der Methode ergänzt werden.
- Die Materialien sollten so aufbereitet sein, dass die Informationen gut zugänglich sind (z.B. Schaubilder, Tabellen, weniger umfangreiche Texte).
- Die Erstellung von Expertenblättern kann helfen, die Durchführung planvoll zu organisieren.
Durchführungsschritte
1. Schritt: Einführung und Themenvergabe
- Die Lernbegleitung wählt ein komplexes Thema aus, das in mehrere Sachverhalte unterteilt werden kann.
- Expertenblätter: Sie enthalten Anleitungen, welche das methodische Vorgehen der Lernenden vorstrukturieren und durch gezielte Fragestellungen zur Lösung führen. Bevor man Expertenblätter zusammenstellt, sollte man sich vorher überlegen, ob diese überhaupt nötig und sinnvoll sind oder ob man die Lernenden ihren Weg nicht ganz frei und eigenständig konstruieren lassen sollte. Die Erfahrung zeigt, dass Lerngruppen welche Expertenblätter (vorgefertigte oder besser noch kompetent selbst erstellte) benutzen, in der Regel zielgerichtetere Ergebnisse erreichen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Expertenblätter genügend Raum für eigene Ideen lassen. Wird die Methode häufig genutzt, dann ist die Anleitung durch das Expertenblatt öfter auch nicht mehr nötig. Das Expertenblatt sollte ein roter Faden sein, an dem sich die Lernenden orientieren können.
Ob der Einsatz eines Expertenblattes sinnvoll ist und wie umfangreich und präzise es in seinen Anforderungen sein sollte, hängt immer davon ab, wie umfangreich der einzuführende Lernstoff ist, wie groß die Lerngruppe ist, wie alt die Teilnehmer sind und wie viel Vorerfahrung die Gruppe bereits mit alternativen Lernmethoden bzw. speziell der Gruppen-Experten-Rallye gemacht hat. -
2. Schritt: Bildung von Stammgruppen
- Die Lernenden werden zunächst in sogenannte Stammgruppen eingeteilt. Jede Stammgruppe erhält einen Überblick über das Hauptthema und wird mittels der Expertenblätter in verschiedene Expertengruppen nach den unterschiedlichen Sachverhalten, die dann später bei Rückkehr in die eigene Stammgruppe unterrichtet werden, aufgeteilt.
- Jede Person in der Stammgruppe wird als „Experte“ für einen bestimmten Teil des Themas in einer Expertengruppe ausgebildet und erarbeitet die Inhalte und Darstellungsweise eigenständig in einer Expertengruppen (siehe nächster Schritt).
3. Schritt: Bildung von Expertengruppen
- Lernende erarbeiten in Expertengruppen einen Sachverhalt, um diesen später in ihrer Stammgruppe zu unterrichten. Sie setzen sich vertieft mit dem Sachverhalt nach den Angaben des Expertenblattes oder einer eigenen Planung auseinander. Sie tauschen sich aus, sammeln Informationen, erarbeiten Lösungen und stellen gemeinsam die wichtigsten Punkte heraus, die sie später in ihre Stammgruppen zurückbringen. Dazu gehören auch Überlegungen und vorbereitete Materialien, wie sie den Stoff am besten den anderen vermitteln wollen.
- Die Expertengruppe dient als Ort, um das Verständnis zu vertiefen, offene Fragen zu klären und eine klare Darstellung des Themas zu entwickeln.
4. Schritt: Rückkehr in die Stammgruppen
- Nach der Phase in den Expertengruppen kehren die Lernenden in ihre Stammgruppen zurück. Jetzt beginnt der eigentliche „Puzzle-Prozess“, bei dem die Lernenden den Stammgruppenmitgliedern den von ihnen als Experten erarbeiteten Stoff vermitteln. Hier wird das Wissen geteilt und das Gesamtbild des Themas entsteht.
- Alle Lernenden übernehmen die Rolle eines Lehrenden und erklären den anderen das jeweilige Teilthema.
5. Schritt: Präsentation und Zusammenführung
- Am Ende der Rallye werden alle erarbeiteten Teilthemen in den Stammgruppen zusammengetragen. Die Lernbegleitung moderiert ggf. eine Diskussion oder lässt die Gruppen ihre Ergebnisse präsentieren.
- In der Reflexionsphase wird darüber gesprochen, welche Erkenntnisse gewonnen wurden, wie die Zusammenarbeit funktionierte und welche Themen vertieft werden müssen.
Wenn Lernende zu Lehrenden werden, dann behalten sie den Stoff besonders gut!
Tipps zur Durchführung
Tipps zur Durchführung
- Klare Rollenverteilung: Lernende sollten von Anfang an wissen, dass sie die Verantwortung für einen bestimmten Teil haben. Dies steigert die Eigenverantwortung und Motivation.
- Ausreichende Materialien bereitstellen: Besonders in den Expertengruppen ist es wichtig, dass die Lernenden Zugang zu gutem Material haben, um sich das nötige Wissen anzueignen. Dies kann über Bücher, Artikel, Videos oder digitale Quellen geschehen. Expertenblätter können den Arbeitsauftrag steuern.
- Zuhörfähigkeiten fördern: Da ein wesentlicher Teil der Methode darin besteht, von anderen zu lernen, sollte im Vorfeld betont werden, wie wichtig aktives Zuhören und gegenseitiger Respekt in der Gruppe sind.
- Hilfestellung geben: Die Lernbegleitung sollte den Expertengruppen während ihrer Arbeitsphase zur Verfügung stehen, um bei Fragen oder Schwierigkeiten einzugreifen.
- Zeitmanagement: Jede Phase sollte klar strukturiert und zeitlich eingegrenzt sein, um sicherzustellen, dass alle Gruppen ausreichend Zeit für ihre Aufgaben haben, ohne dass es zu Leerlauf oder Hektik kommt.
Stolperfallen
- Ungleiche Beteiligung: Manche Lernende könnten sich weniger einbringen, was die Gruppenarbeit stören kann. Es ist wichtig, klare Rollen zu verteilen und die Verantwortung zu betonen, damit alle gleichermaßen teilnehmen.
- Überforderung in Expertengruppen: Einige Lernende könnten Schwierigkeiten haben, sich das Wissen in den Expertengruppen anzueignen. Hier ist es wichtig, dass die Lernbegleitung ausreichend Material und Unterstützung bereitstellt.
- Schwierigkeiten bei der Wissensvermittlung: Nicht alle Lernenden sind geübt darin, Wissen verständlich zu vermitteln. Eine gezielte Vorbereitung auf die Präsentation und Tipps zum Erklären können hier helfen.
- Stammgruppengröße bestimmt die Themenvielfalt: Wie viele Themen bearbeitet werden können, das liegt an der Gruppengröße. Sind etwa 26 Lernende in der Klasse, dann können gut fünf Stammgruppen gebildet werden, die aus jeweils fünf Lernenden bestehen. Ein Lernender muss einer Stammgruppe zusätzlich zugeteilt werden. Dies ergibt fünf Expertengruppen mit jeweils fünf möglichen Themen, ein Experte ist doppelt besetzt.
Zur Notenproblematik: Besonders im englischsprachigen Raum, in dem das Lernen in vielen Ländern oft mit Wettkampf und Spiel verbunden wird, hat sich die Methode in Kombination mit Tests und Gruppennoten durchgesetzt. Von deutschen Lehrenden wird oft argumentiert, dass solche Gruppenverfahren nicht geeignet seien, weil die Individualleistung durch die Gruppe verfälscht wird. Aber das Problem besteht gar nicht in dieser Verfälschung. In der heutigen Berufswelt wie im Lebensalltag hat der Einzelkampf und haben Individualnoten längst ihre früher dominante Rolle eingebüßt. Hier ist es wichtiger, in einem Team alle Ressourcen zu nutzen und jedes Team ist nur so stark, wie alle seine Mitglieder sein können. Insoweit ist es für das Teamlernen wichtig, schon möglichst früh zu begreifen, dass ich anderen helfen muss und mich bei der Hilfe von anderen zugleich anstrengen muss, das Gruppenergebnis positiv mit zu gestalten.
Variationen
- Reverse Jigsaw: Hier beginnt der Prozess in den Expertengruppen, die sich mit einem Teilthema auseinandersetzen. Danach „reisen“ die Experten zu verschiedenen Stammgruppen, um ihr Wissen dort weiterzugeben, anstatt in ihre ursprüngliche Gruppe zurückzukehren.
- Kreative Jigsaw: Anstatt nur mündlich zu berichten, können die Lernenden ihre Ergebnisse auf kreative Weise darstellen, z.B. durch Plakate, Mindmaps, Sketchnotes oder kurze Videos, die sie ihren Gruppen präsentieren.
- Digitales Jigsaw: Die Lernenden arbeiten komplett digital und nutzen Online-Tools, um sich in den Expertengruppen zu organisieren und ihre Präsentationen vorzubereiten. Diese Methode eignet sich besonders für Fernunterricht oder im Blended Learning.
Anwendungsbeispiele
Die Methode ist für alle Fächer und Inhalte geeignet, sofern die Inhalte aus verschiedenen Perspektiven oder mit verschiedenen Phasen beurteilt werden können. Zentral ist es, die Lernenden zu Lehrenden werden zu lassen, was im Grunde keine Grenzen hat. Folgende Beispiele mögen einen ersten Eindruck von den vielfältigen Möglichkeiten geben:
- Geschichte: Die Lernenden bearbeiten in Expertengruppen verschiedene Aspekte eines historischen Ereignisses (z.B. Ursachen, Verlauf, Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs) und bringen diese in ihre Stammgruppen ein, um ein Gesamtbild zu erstellen.
- Biologie: In einem Biologieprojekt untersucht jede Gruppe einen Teil des Ökosystems (z.B. Nahrungskette, Rolle der Pflanzen, Tiere, Umwelteinflüsse) und bringt dieses Wissen zurück in die Stammgruppe.
- Fremdsprachenunterricht: Die Lernenden arbeiten in Expertengruppen an unterschiedlichen Grammatikthemen oder Wortfeldern und unterrichten anschließend ihre Stammgruppe.
- Wirtschaft: In einem Projekt zur Globalisierung beschäftigen sich die Expertengruppen mit verschiedenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aspekten und setzen diese in der Stammgruppe zu einem Gesamtbild zusammen.
- Kunst und Design: Jede Expertengruppe arbeitet an einem Aspekt der Kunstgeschichte (z.B. eine Kunstepoche, ein Künstler) und bringt ihre Erkenntnisse in die Stammgruppe ein, um eine umfassende Ausstellung vorzubereiten.
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