Reflecting Teams
Reflexion und Feedback
Soziales Lernen
Beobachtende in der Kommunikation zur Reflexion einsetzen, um neue Sichtweisen, Perspektivwechsel und eine Auflösung ggf. festgefahrener Diskussionen zu erreichen.
Kurzbeschreibung Reflecting Teams
Die Methode des „Reflecting Teams“ kommt aus der systemischen Therapie und wird in vielen kommunikativen Zusammenhängen angewandt. Ziel ist es, einen Freiraum für die Entwicklung vielfältiger Perspektiven und für die Betroffenen angemessene Ideen und Lösungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei werden unterschiedliche Situationen beobachtet: etwa ein Beratungsgespräch, eine Unterrichtssituation, eine Kommunikation.
Die Perspektiven der Beteiligten werden einbezogen, was das Annehmen von Vorschlägen erleichtert. Dazu begeben sich die beteiligten Systeme (Ratsuchende und Beratende, Beobachtende) in einen gemeinsamen Prozess der Perspektivensichtung. Durch unterschiedliche Mitglieder/innen des Reflecting Team ist es möglich, verschiedene Sichtweisen eines Problems oder einer Situation sichtbar werden zu lassen. Durch verschiedene Perspektiven können mögliche Ursachen und Lösungen aus vielen verschiedenen Richtungen diskutiert werden. Dies soll Ratsuchenden dazu verhelfen, ihren Horizont zu erweitern und weitere Blickwinkel zu entwerfen. Praktisch nehmen hierbei zwei bis vier Mitglieder/innen zunächst eine beobachtende und dann eine reflektierende Position ein. Sie verfolgen die Interaktionen und machen sich Notizen zur Art der Interaktionen, zur Sprache und Körpersprache, zu allen Auffälligkeiten. Sie beteiligen sich nicht aktiv in der Situation, hören jedoch aufmerksam zu.
Nach einer gewissen Zeit werden die Positionen gewechselt.
Variante 1: Das Team bespricht sich zunächst, bevor es eine Rückmeldung an die Gruppe gibt. Dies hilft große Wahrnehmungsunterschiede im Vorfeld zu reflektieren.
Variante 2: Die Mitglieder/innen des Reflecting Teams denken direkt und ohne Abstimmung untereinander laut über den von ihnen beobachteten Gesprächsprozess nach.
Die Reflexion erfolgt in der Regel vor allen Teilnehmenden an der Situation. Die Beobachtenden führen ein Gespräch über die Situation. Wenn alles Beobachtete gesagt ist, dann wird die Runde für alle im Austausch geöffnet.
Methodensteckbrief
Zeitansatz
Der Zeitansatz umfasst mehrere Phasen:
Einführung und Rollenklärung:
10–15 Minuten (Erklärung der Methode und Klärung von Rollen).
Präsentation/Diskussion:
10–30 Minuten (je nach Thema).
Reflexion durch das Team:
15–30 Minuten (abhängig von der Gruppengröße).
Nachbesprechung:
10–20 Minuten (Erfahrungsaustausch und Feedback zur Methode).
Gruppengröße
Es sind unterschiedliche Gruppengrößen möglich:
Teilnehmende insgesamt:
6–15 Personen; größere Gruppen sollten wegen der 0ft persönlichen Rückmeldungen in kleinere Teams aufgeteilt werden.
Reflecting Team:
3–5 Personen für die Reflexion, die sich rotierend abwechseln können.
Analog und/oder Digital
Analog und digital möglich:
Analoge Anwendungen:
- Karten oder Flipcharts: Beobachtungen und Feedbackpunkte schriftlich notieren.
- Moderationsmaterial: Für strukturierte Reflexion (z.B. Leitfragen oder Kategorien); Pinnwände zum Visualisieren.
- Kreisaufstellung: Die reflektierenden Personen sitzen im Außenkreis um die Diskussionsgruppe.
Digitale Anwendungen:
- Videokonferenzen: Nutzung von Plattformen wie Zoom, Microsoft Teams auch mit Zugriff auf Miro.
- Digitale Whiteboards: Um Feedback und Ideen visuell zu strukturieren.
- Chatfunktionen: Für ergänzende schriftliche Reflexion.
- Aufzeichnungen: Diskussionen aufzeichnen, sodass das Reflecting Team später darauf Bezug nehmen kann.
Vorbereitung
Die Vorbereitung bezieht sich auf die eigene Haltung und offene Fragestellungen. Es geht aber nicht darum, nach einer Lösung von außen zu suchen, sondern Möglichkeiten darzustellen. Typische Fragen dabei:
Ziel und Zweck klären:
Klären, warum Reflecting Teams eingesetzt werden (z.B. Perspektivenerweiterung, Problemanalyse, Feedback).
Gruppenzusammensetzung:
Gruppen und Rollen (z.B. Diskussionsteilnehmende, Reflecting Team) definieren.
Leitfragen entwickeln:
Beispielhafte Fragen: „Was war besonders auffällig?“ „Welche neuen Perspektiven haben sich ergeben?“ „Welche Lösungsansätze sind erkennbar?“
Raum oder digitale Plattform vorbereiten:
Analoge Aufstellung im Kreis oder technische Ausstattung (Kamera, Mikrofone, Whiteboard) sicherstellen.
Einweisung:
Teilnehmende in die Methode und ihre Rollen einführen.
Durchführungsschritte
1. Schritt: Einführung
Die Lernbegleitung erklärt die Methode, die Rollen und den Ablauf.
2. Schritt: Themenpräsentation oder Diskussion
Eine Gruppe (z.B. Lernende) stellt ein Problem, meist einen Konflikt oder eine schwierige Frage, eine inhaltliche Idee oder ein Projekt (weniger für Beziehungsdiskussionen geeignet) vor oder diskutiert ein Thema.
3. Schritt: Reflexion durch das Reflecting Team
Das Team diskutiert laut über seine Eindrücke, ohne direkt mit den Präsentierenden oder Diskutierenden zu interagieren.
- Nachfolgend genannte Beobachtungsleitfäden können dabei genutzt werden.
- Leitfragen, die die Lernenden vorab erstellen, können sinnvoll sein.
4. Schritt: Rückmeldung
Die beobachtete Gruppe reflektiert über die Eindrücke des Reflecting Teams und reagiert darauf; Verteidigungshaltungen und Rechtfertigen sind zu vermeiden.
5. Schritt: Abschlussreflexion
Die gesamte Gruppe reflektiert über die Methode selbst: Was war hilfreich? Was könnte verbessert werden?
Beobachtungsleitfäden
Allgemeine Beobachtung der kommunikativen Situation:
- Was habe ich bei den Akteuren – sowohl Referent/in als auch die Lernenden – beobachtet? (äußere Wahrnehmung)
- Welche Sprache haben die Akteure benutzt? (Referent/in/ Lernenende)
- Wie war das Sprechtempo, die Lautstärke, die Betonung, die Wortwahl?
- Wie war die Interaktion zwischen Referent/in und den Lernenden?
- Wie hat der/die Referent/in auftretende Probleme aufgenommen und angesprochen?
- Wie waren Mimik, Gestik, Körperhaltung, Distanz, Blickkontakt, Atem, Bewegung der Akteure? Wie hat dieses nonverbale Verhalten mit dem Gesagten übereingestimmt?
- Was habe ich bei mir beobachtet? Welche Assoziationen, Köperreaktionen, Gedanken und Gefühle hatte ich? (innere Wahrnehmung)
Beobachtung des selbstorientierten Verhaltens:
- Wurde die Diskussion von einzelnen beherrscht?
- Gab es Unterbrechungen?
- Konnten einzelne Teilnehmende nicht zuhören?
- Gab es empfindliche Reaktionen?
- Wurde über Argumente hinweggegangen?
- Kam es zu Überreaktionen?
Interaktionsorientiertes Verhalten:
- Wurden andere zur Diskussion ermuntert?
- Wurde bei kontroversen Meinungen vermittelt?
- Wurden Beiträge anderer aufgenommen?
- Wurden Spannungen abgebaut oder eher verstärkt?
- Wurde zur Kooperation ermutigt?
Aufgabenorientiertes Verhalten:
- Wurden Informationen gesammelt und vermittelt?
- Wurden die Aufgaben und Abläufe organisiert?
- Wurden Probleme geklärt?
- Wurden Zusammenfassungen gemacht?
- Wurden Übereinstimmungen betont oder eher Unterschiede?
- Wurde zur Arbeit zurückgeführt, oder wich man vom Thema ab?
- Wurde auf die Zeit geachtet?
Rückmeldungen zur Beziehungsseite
Anliegen und Vorgaben
- Was ist wessen Anliegen, um welche Themen geht es, welche Fakten sind wichtig?
- Welche Personen sind anwesend? Fehlen wichtige Personen?
- Welches sind die strukturellen Gegebenheiten, welches die selbstgewählten?
- War genug Zeit? Wie hat die Sitzung angefangen, wie geendet? Gab es tote Punkte?
- War der Raum günstig und gut vorbereitet?
Beziehung: Was habe ich an den Akteuren beobachtet?
- Wie haben die Akteure (Pädagogen/Therapeuten/Lernende/Ratsuchende) kommuniziert?
verbal: Tempo, Lautstärke, Betonung, Wortwahl, Bedeutung
nonverbal: Mimik, Gestik, Körperhaltung, Distanz, Blickkontakt, Atem, Bewegungen, Bedeutung - Waren verbale und nonverbale Nachrichten kongruent oder inkongruent?
- Wie war die Arbeitsverteilung und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren?
- Wie ist die Systemdynamik: wie sind die Interaktionsmuster (komplementäre/symmetrische/ reziproke Beziehungen, Verstrickungen/Loslösungen); welche Prozesse (Allianzen, Koalitionen, offene/verdeckte/umgeleitete Konflikte) und Hierarchien sind im ratsuchenden System zu finden; wie sind die Grenzen zwischen den Personen (diffus, flexibel, durchlässig?)
- Welche Hypothesen und welche Fragen sind entstanden?
- Welche Interventionen waren hilfreich/erfolgreich?
- Wie war die Beziehungsqualität zwischen den Teilnehmenden (Rapport)?
Was habe ich an mir selbst beobachtet?
- Assoziationen, Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen
Selbstreflexion ist eine wesentliche Kompetenz in allen Bereichen des Lebens! Reflecting Teams helfen als Gruppenprozess, sich auf die Wahrnehmungen anderer einlassen zu lernen.
Tipps zur Durchführung
Tipps zur Durchführung
- Struktur vorgeben: Leitfragen oder Kategorien erleichtern die Reflexion.
- Neutralität wahren: Das Reflecting Team sollte wertfrei und beobachtend reflektieren.
- Zeiten einhalten: Klare Zeitvorgaben, sodass die Reflexion nicht ausufert.
- Feedback dokumentieren: Wichtige Erkenntnisse aufschreiben oder visuell festhalten.
- Atmosphäre fördern: Eine respektvolle und offene Kommunikation sicherstellen.
- Inneren Dialog anregen: Die Sprechenden „betrachten“ innerlich den Verlauf des äußeren Gespräches, sie entscheiden, welche Gedanken sie aufnehmen, was wichtig für sie ist und was nicht.
- Der Wechsel der Positionen: Die Trennung zwischen der erlebenden und der zuhörenden, reflektierenden Position ist eine Kernidee des Reflektierenden Teams. Wer zuhört, nimmt nur am inneren Dialog teil und hat dadurch die Möglichkeit, die Reflexionen der anderen mit Abstand zu erleben. Der Zuhörende befindet sich in einer weniger bedrohlichen Situation. Aus dieser Position des Überdenkens und Erwägens entstehen Ideen, ohne dafür direkt Rede und Antwort stehen zu müssen. So können Veränderungsimpulse entstehen.
- Vielfalt ermöglichen: Jede Beschreibung und Erklärung ist weitgehend beobachtungsabhängig, d.h. sie beruht auf Unterscheidungen, die der Beobachtende trifft. Andere Beobachtende treffen ggf. andere Unterscheidungen und entwickeln damit auch andere Erklärungen.
- Kooperation statt Intervention: Menschen sollen in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, weshalb es in der Reflexion nur Beschreibungen und Vorschläge, aber keine Interventionen, die die Betroffenen nicht explizit wünschen, geben sollte.
- Möglichkeitsräume eröffnen: Über die Arbeit mit dem reflektierenden Team sollen Möglichkeiten für neue oder andere Sichtweisen erschlossen werden. Es muss beachtet werden, dass die Unterschiede, die gemacht werden, nicht zu ungewöhnlich sind, sondern den Beteiligten in ihrer Ausgangslage entsprechen und anschlussfähig sein können.
Stolperfallen
- Fehlendes Verständnis der Methode: Ohne klare Einführung verstehen Teilnehmende ihre Rolle nicht.
- Dominanz einzelner Stimmen: Einzelpersonen können die Reflexion dominieren, was die Perspektivenvielfalt einschränkt.
- Fehlende Trennung von Rollen: Wenn das Reflecting Team direkt mit der Diskussionsgruppe interagiert, wird der Fokus auf die Reflexion verwässert.
- Zeitdruck: Unzureichende Zeit beeinträchtigt die Tiefe der Reflexion.
- Kluge Ratschläge vermeiden: Ein Reflektierendes Team kann dazu ausufern, dass „kluge Ratschläge“ gegeben werden, am Ratsuchenden „herumgenörgelt“ wird oder ausufernde Monologe geführt werden. Um diese zu verhindern, ist ein respektvoller Umgang miteinander notwendig.
- Regeln beachten:
- alle Wahrnehmungen sind subjektiv
- alle sind fähig, zur Lösung von Problemen eigene Ressourcen zu aktivieren
- Betroffene sind meist Experten/innen für eigene Lösungen
- Menschen sind eher zu Veränderungen bereit, wenn ihre Persönlichkeit gewürdigt wird
- Während des Zuhörens und Zuschauens sammelt jedes Teammitglied seine Gedanken und Ideen zunächst für sich
- Während der Reflexion tauscht das Team seine Gedanken ausschließlich untereinander aus. Es nimmt keinen Kontakt zum Interviewsystem auf, auch keinen Blickkontakt.
- Bei der Reflexion der Gedanken geht es um die Vielfalt möglicher Sichtweisen, nicht um die beste Idee: „Sowohl … als auch“ statt „entweder … oder“.
- Fragen sollten vorsichtig und im Konjunktiv formuliert werden, z.B. „Könnte es sein, dass…?“
- Auch nonverbale Muster sollten zur Sprache gebracht werden.
- Die Wertschätzung der Ratsuchenden steht im Vordergrund.
- Es werden keine instruierenden Ratschläge gegeben.
Variationen
- Rotierende Teams: Rollen zwischen Reflexion und Diskussion wechseln.
- Schriftliches Reflecting Team: Reflexionsergebnisse werden schriftlich festgehalten und anonymisiert diskutiert.
- Peer-to-Peer Reflecting Teams: Lernende moderieren die Methode eigenständig.
- Thematische Teams: Jedes Reflecting Team reflektiert zu einem spezifischen Aspekt (z.B. inhaltlich, methodisch, zwischenmenschlich).
- Visuelles Reflecting Team: Die Reflexion wird primär durch Zeichnungen oder Diagramme ausgedrückt.
Anwendungshinweise
Die Methode des Reflecting Team erfordert in der Praxis einen höheren Zeitaufwand, bietet aber die Möglichkeit, zwischen Beziehungs- und Inhaltsebene zu vermitteln. Dies ist für alle pädagogischen Prozesse sehr anregend und erweitert den Horizont der Teilnehmenden. In den bisherigen Praxiserfahrungen zeigen sich jedoch einige Probleme, auf die unbedingt in den Anwendungen geachtet werden sollte:
- Beobachtungsbögen sollten wohlüberlegt, jedoch am Anfang nicht zu differenziert sein. Weniger ist hier mehr, ansonsten besteht die Gefahr, dass vor lauter Bäumen der Wald nicht mehr gesehen wird.
- Im pädagogischen Kontext hat die Lernbegleitung immer die Verantwortung für den Gesamtablauf. Sie muss immer das Ganze, den pädagogischen Prozess im Blick haben.
- Die Rollen von Beobachteten und Beobachtenden müssen ständig wechseln, damit die Perspektivenverschiebungen eine Langzeitwirkung in der Kompetenz des Beobachtens entwickeln können.
- Es soll das besprochen werden, was beobachtet wird, und nicht das, was die Beobachtenden vielleicht für erwünscht halten. Nur authentische Erlebnisse und ein Bericht hierüber kann die Ernsthaftigkeit des Verfahrens gewährleisten, ein Spiel, um einer Gruppe bloß zu versichern, wie toll sie schon sei, zerstört die Glaubwürdigkeit dieser Methode grundlegend.
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