Zirkuläres Fragen
Zusammenhänge verstehen
Mit zirkulären, systemischen Fragen Beziehungen verdeutlichen und Perspektivwechsel ermöglichen.
Kurzbeschreibung zirkuläres Fragen
Das zirkuläre Fragen ist eine Fragetechnik, die darauf abzielt, Perspektivwechsel zu fördern und Beziehungen oder Wechselwirkungen innerhalb eines Systems sichtbar zu machen. Ursprünglich aus der systemischen Therapie stammend, wird sie heute auch im Unterricht, in der Weiterbildung und in der Moderation eingesetzt, um Reflexion und Verständnis für komplexe Zusammenhänge zu fördern. Sie fördert Empathie, Kreativität und systemisches Denken und kann flexibel auf unterschiedliche Themen und Zielgruppen angepasst werden. Zirkuläre Fragen helfen, um Prozesse in Beziehungssystemen aufzudecken und starre Kommunikations- und Interaktionsmuster durch eine gezielte Einnahme von unterschiedlichen Beobachterpositionen und Perspektivwechseln zu verflüssigen. Die Lernbegleitung eröffnet etwa den Lernenden durch diese Frageweise Möglichkeiten, sich in andere Positionen hineinzuversetzen und sich dabei auf einen Perspektivenwechsel einzulassen. Die Frageweise provoziert ein „Mutmaßen im Beisein der Anderen“, denn die Beteiligten werden angeregt, ihre Vermutungen über Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen, Beziehungen usw. immer im Blick auf den anderen zu äußern. Im wechselseitigen Bezug aufeinander werden neue Denkprozesse eingeleitet und Veränderungen möglich. Beispiel: Was glaubst du, empfindet Hannah, wenn du mir sagst, dass sie keine Lust zum Lernen hat? Es wird nicht direkt, sondern zirkulär, um die Ecke, gefragt. Hier muss der Gefragte Hannah, über die er nachdenkt, mit in die Beobachtung seiner und ihrer Gefühle einbeziehen. So kann aus einfachen Zuschreibungen „er oder sie hat“ ausgestiegen werden.
Es gibt verschiedene Versuche, zirkuläre Fragen zu klassifizieren und zu ordnen. Wir nennen hier nur einige:
- Fragen nach Unterschieden: nach Qualität, nach Quantität usw.
- Klassifikationsfragen: nach Rangfolgen, Prozentfragen, Definitionen, Skalierungen (auf einer Skala von 0-100) usw.
- Übereinstimmungsfragen: „Dein Vater denkt, du hättest einen engeren Bezug zu deiner Mutter als zu ihm. Deine Mutter sieht es genau umgekehrt. Welcher Sicht würde deine Schwester eher zustimmen?“ Fragen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten usw.
- Fragen nach Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen, um Standpunkte zu erfassen und Möglichkeiten der Veränderung zu eröffnen.
- Auswirkungen im Kontext: „Wenn Sie morgen ins Büro gehen, wer merkt als erstes, dass…“
- Lösungsorientierte Fragen (Verbesserungsfragen): etwa Fragen nach Ausnahmen von Problemen, Fragen nach Ressourcen, Wunderfragen.
- Problemorientierte Fragen (Verschlimmerungsfragen): „Was könnte A tun, damit sich B noch schlechter fühlt?“
- Als-ob-Fragen: „Wie müssten Sie sich verhalten, damit die anderen denken würden, Ihr Problem sei zurückgekommen, obwohl es das gar nicht ist?“
- Hypothetische Fragen: Nutzen von Gedankenexperimenten, Variationen und Optionen durchspielen, „Was wäre wenn…, mal angenommen…“
Es gibt in der systemischen Literatur noch zahlreiche weitere Vorschläge.
Methodensteckbrief
Zeitansatz
Der Zeitansatz hängt von der Komplexität des Themas ab:
Spontan
Immer wieder bei Bedarf, um eine neue Perspektive zu gewinnen.
Kurzformat: 10-15 Minuten
z.B. für gezielte Impulse oder Perspektivwechsel
Standard: 30-45 Minuten
z.B. für tiefere Reflexion in Gruppenarbeit
Langformat: 60-90 Minuten
z.B. für umfassende Analyse von Konflikten oder komplexen Themen
Gruppengröße
Es sind unterschiedliche Gruppengrößen möglich:
Einzelarbeit:
Zur Reflexion von persönlichen Perspektiven. Benötigt immer Anleitung.
Kleingruppe: 3–5 Personen
Intensive Diskussion und Perspektivwechsel.
Mittlere Gruppen: 6–12 Personen
Wechsel zwischen Plenums- und Gruppenarbeit-
Großgruppen: Bis zu 30+ Personen
Erfordert Moderation und Aufteilung in Kleingruppen.
Analog und/oder Digital
Analog und digital möglich:
Analoge Anwendungen:
- Gesprächsrunden: Direkte Anwendung der Fragetechnik
in Diskussionen. - Arbeitsblätter: Zirkuläre Fragen als schriftliche Reflexionsimpulse.
- Moderationskarten: Antworten und Gedanken visualisieren.
Digitale Anwendungen:
- Videokonferenzen: Nutzung von Breakout-Räumen für kleinere Diskussionen.
- Kollaborative Plattformen: Miro, Padlet, Jamboard oder andere zur Sammlung und Visualisierung von Antworten.
- Umfragetools: mentimeter, wooclap, microsoft forms, typeform oder andere zur anonymen Beantwortung zirkulärer Fragen.
Vorbereitung
Unterschiedliche Vorbereitungsaufgaben sinnvoll:
Thema oder Ziel definieren:
Legen Sie fest, worauf sich die Reflexion oder der Perspektivwechsel konzentrieren soll. Eine zu beobachtende Situation muss gegeben sein. Beispiel: „Wie beeinflussen unterschiedliche Sichtweisen die Teamarbeit?“
Fragen vorbereiten:
Entwickeln Sie offene, zirkuläre Fragen, die Beziehungen oder Wechselwirkungen thematisieren, z.B.: „Wie würde Person A die Situation aus ihrer Sicht beschreiben?“ Oder: „Wie würde die Person A, wenn sie B wäre, die Situation beurteilen?“ Im zweiten Fall ist der Zugewinn an Perspektiven größer!
Materialien bereitstellen:
Analoge: Arbeitsblätter, Karten, Moderationswände.
Digitale: Tools und Plattformen einrichten, Fragen vorbereiten.
Teilnehmende schulen:
Den Zweck und die Methode des zirkulären Fragens erklären. Danach beispielhaft Fragen üben.
Durchführungsschritte
1. Schritt: Einleitung
- Ziel und Methode erklären: „Wir nutzen zirkuläre Fragen, um neue Perspektiven und Wechselwirkungen zu entdecken.“
- Thema oder Problem vorstellen.
- Wenn noch keine Erfahrungen im zirkulären Fragen bestehen, dann die Schritte 2-3 durchführen.
2. Schritt: Zirkuläre und kausale Fragen unterscheiden
- Ziel zirkulärer Fragen ist es, Beziehungen, Wechselwirkungen und Perspektiven innerhalb eines Systems oder zwischen Akteuren sichtbar zu machen. Sie fördern einen Perspektivwechsel und ermöglichen ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Beispiel: „Wie würde Person A die Entscheidung von Person B wahrnehmen?“
- Ziel einer kausalen Frage ist es, eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zu ergründen. Es wird nach einer klaren, linearen Erklärung für eine Situation oder ein Ereignis gesucht. Beispiel: „Warum hat Person A diese Entscheidung getroffen?“
- Teilnehmende für eine Konfliktsituation kausale und zirkuläre Fragen entwickeln lassen, um den Unterschied zu verdeutlichen.
- Den Zugewinn an Informationen bei zirkulären Fragen diskutieren.
3. Schritt: Übung und Reflexion
- Teilnehmende entwerfen ein Szenario, um zirkuläre Fragen zu üben.
- In einem Rollenspiel wird paarweise geübt, wie mit zirkulären Fragen Informationen über die Beteiligten gewonnen werden.
- Ergebnisse werden beispielhaft gesammelt und visualisiert (z.B. auf Flipcharts oder digital).
4. Schritt: Zirkuläre Fragen in einem Fall durchführen
- Den Fall mit verschiedenen Rollen nachstellen und aus der Position der eingenommenen Rolle antworten.
- Mit zirkulären Fragen Beziehungen und Einflüsse zwischen den genannten Perspektiven herausarbeiten.
- Neue Erkenntnisse oder Handlungsoptionen ableiten.
5. Schritt: Ergebnissicherung und Abschluss
- Reflexionsergebnisse schriftlich oder digital festhalten.
- Rückblick und Diskussion über die Methode und ihre Anwendbarkeit.
Einen anderen Menschen besser zu verstehen, bedeutet sich selbst in der Beziehung zu ihm oder ihr, besser verstehen zu wollen!
Tipps zur Durchführung
Tipps zur Durchführung
- Atmosphäre schaffen: Sorgen Sie für eine offene und wertschätzende Gesprächskultur.
- Moderation: Unterstützen Sie die Teilnehmenden, indem Sie bei Bedarf nachfragen oder Klarheit schaffen.
- Kreativität fördern: Ermutigen Sie die Teilnehmenden, neue und unkonventionelle Perspektiven einzunehmen.
- Visualisierung nutzen: Beziehungen und Wechselwirkungen anschaulich darstellen, z.B. in Form von Diagrammen oder Mindmaps.
- Zeitmanagement: Begrenzen Sie die Zeit für Antworten, um den Fokus zu wahren.
Stolperfallen
- Unklare Fragen: Zu komplexe oder ungenaue Fragen können Verwirrung stiften.
- Dominanz einzelner Personen: Eine Person könnte die Diskussion dominieren; die Moderation sollte eine ausgewogene Beteiligung sicherstellen.
- Fehlender Praxisbezug: Ohne Verbindung zur Realität könnten die Ergebnisse abstrakt bleiben.
- Zeitmangel: Zirkuläre Fragen benötigen Zeit für Reflexion und Diskussion.
- Gruppendynamik: In konfliktbeladenen Gruppen kann die Methode Widerstand hervorrufen; eine geschulte Moderation ist wichtig.
- „Wahrheiten“: Es wird sofort zur Stolperfalle in den Beziehungen, wenn einzelne Personen beginnen, nur ihre Sicht gelten zu lassen.
- Opferrolle: Fehlende Handlungsoptionen führen zu einer Stagnation und gleichzeitig zu einer Stabilisierung des vorhandenen Interaktionsmusters. Dann reagieren Menschen leicht festgefahren. Beim Lernen ist dies eine große Falle, die die eigene Selbstwirksamkeit verhindert.
Variationen
- Schriftliches zirkuläres Fragen: Fragen und Antworten schriftlich festhalten und anschließend diskutieren.
- Rollentausch: Teilnehmende schlüpfen in verschiedene Rollen, um aus deren Perspektive zu antworten.
- Szenario-Fragen: Fragen auf hypothetische Szenarien anwenden, z.B. „Was würde passieren, wenn…?“
- Zirkuläres Feedback: Teilnehmende geben sich gegenseitig Rückmeldungen basierend auf zirkulären Fragen.
- Systemische Visualisierung: Antworten in Diagrammen, Systemzeichnungen oder Beziehungskarten darstellen.
Anwendungsbeispiele
Anregungen für den Einsatz, aber vor der Anwendung sollte die Lernbegleitung im zirkulären Fragen geschult sein:
Unterricht:
- Geschichte:„Wie hätte ich aus der Sicht von X auf dieses historische Ereignis reagiert?“
- Literatur:Dreiecksgeschichten analysieren.
Weiterbildung:
- Teamentwicklung:Analyse von Kommunikationsmustern und deren Auswirkungen.
Coaching und Beratung:
- Analyse von Coaching-Gesprächen.
Konfliktlösung:
- Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen beteiligten Personen oder Gruppen.
Führungskräfte-Training:
- Reflexion über Entscheidungen und deren Auswirkungen auf das Team.
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